(alle Fotos von Ralf Hess)

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MESSER sind aktuell auf Tour, um ihre neue Platte „Jalousie“ zu promoten. Am 02.11.2016 spielten sie im Kölner Gebäude 9, was uns die Gelegenheit gab, die schöne Tradition der regelmäßigen KOPFPUNK-Interviews aufleben zu lassen, dieses Mal von Angesicht zu Angesicht und nicht wie bisher per Skype. / Marko Fellmann

Als Support haben sie sich TELLAVISION geangelt, eine Avantgarde-Künstlerin aus Hamburg, deren Performance mich stark an Laurie Anderson erinnert. Ihre Mischung aus geloopten, reduzierten Rhythmen und teils gekrächzten, teils gesungenen englischsprachigen Texten sucht seinesgleichen in Deutschland und hat mehr Beachtung verdient. Sie spielt viele Tracks ihres aktuellen Albums „The Third Eye“, welches ich mir nach dem Konzert sofort gekauft habe.

Aber ich bin wegen MESSER hier! Seit 2012 feature ich diese Ausnahmeband für Webradio oder Print und jedesmal war es nicht nur sehr nett, sondern auch sehr aufschlussreich. Das Interessanteste an dem ganzen Musikjournalismus-Quatsch ist für mich diese exponierte Beobachterposition, zu sehen und mitzuerleben, wie Bands sich über die Jahre verändern, nicht nur in eventuellen Besetzungswechseln, sondern auch im Umgang mit mir, bzw. anderen Medien. Z.B. wenn das Label gewechselt wird und damit einhergehend auch meine Ansprechpartner: das eine Mal bekommt man Platten und Infomaterial zuhauf, das andere Mal noch nicht mal einen Downloadlink (bei MESSER funktionierte die Versorgung immer einwandfrei). Ich ärgere mich über solche Entwicklungen nicht, sondern nehme sie zur Kenntnis. Und ganz ehrlich: Wer hätte denn vor vier Jahren gedacht, dass nicht nur Musikmagazine wie Visions und Spex, sondern auch die Feuilletonisten von Spiegel, Taz und Zeit sich mit solchen vermeintlich kleinen Bands beschäftigen?! Ich jedenfalls nicht! Beim Interview vor dem Konzert war Gitarrist Milek leider nicht anwesend, da er mit Busfahrer Julian am Merchtisch saß.

Ihr habt euch sehr verändert, auch wenn man MESSER natürlich noch erkennt. Wann habt ihr diese Veränderung selbst zu spüren begonnen? Wie hing das mit Palles Ausstieg zusammen?

Pogo: Die Veränderung ist uns bewusst geworden, als Philipp und ich erste Skizzen im Proberaum aufnahmen, auch wenn das ein Prozess ist. Einhergehend haben wir dann mit Palle festgestellt, dass unsere Vorstellungen gar nicht mehr so deckungsgleich sind. Aber auch das war ein langer Prozess.

Philipp: Das begann in etwa Weihnachten 2014, während Hendrik sich im Ostsee-Urlaub befand.

Pogo: Das ist übrigens ein ganz normales Ding: Hendrik macht Urlaub und wir arbeiten! (alle lachen)

Philipp: Da hatten wir unseren Proberaum gerade ganz neu und haben mit Schlagzeug, Orgel und Bass erste Demos aufgenommen. Das war für uns alle eine neue Herangehensweise an das Thema Songentwicklung. Pascal hatte zu dem Zeitpunkt Sorge, dass er sich für eine weitere Entwicklung der Stücke zu unflexibel macht.

Hendrik: Er war da für sich einfach an einem anderen Punkt!

Philipp: Wir haben zu ihm gesagt: „Na gut, muss ja jetzt nicht sofort perfekt sein, kann man ja noch ändern!“. Palle wollte sich da allerdings musikalisch nicht zu sehr festlegen, aber genau dieses neue Aufnahmeprinzip sollte das neue MESSER-Verfahren sein.

Ist doch auch oft so, dass die erste Idee die beste ist. Dann hat man die tausendmal gehört und es fällt schwer, sich dann noch etwas anderes einfallen zu lassen.

Philipp: Ja, das stimmt. Es ist ja auch nicht so, dass ich das Argument nicht nachvollziehen kann. Aber nachdem wir die ersten beiden Platten gemeinsam im Proberaum geschrieben und danach recht zügig aufgenommen haben, hatten wir uns für die neue Platte auf dieses andere Aufnahmeverfahren geeinigt. Die ersten Songs, die dabei entstanden sind, waren „Der Mann, der zweimal lebte“, „Im Jahr der Obsessionen“ und die ersten Ideen für „Detektive“.

Pogo: Die allererste Idee, die ich rumgereicht habe, war eigentlich „Niemals“. Aber die konkrete Arbeit begann mit den Stücken, die Philipp genannt hat.

Das fiel mir beim Schreiben des Reviews schwer, so einen Begriff wie „Rock-Pop“ da zu erwähnen, nach all den Gesprächen, die wir in den Jahren hatten. „Der Mann, der zweimal lebte“ klingt deutlich softer als euer bisheriger Sound. Hinzu kommt das Video, dass diesen Song ja als Beziehungs-/Liebeslied manifestiert. Vielleicht war Palle das zu soft? „Detektive“ fand ich zum Beispiel am wenigsten einem Genre zugeordnet.

Philipp: Im Post-Punk-Bereich fallen mir da z.B. A CERTAIN RATIO als Referenz für „Detektive“ ein. Bei „Die Unsichtbaren“ (2013) war es ja „Neonlicht“ mit dem alles begann. Ich glaube, immer wenn wir mit einem neuen Album anfangen, müssen wir erst einmal etwas anders machen, um dann zu sagen: „O.K., jetzt schreiben wir noch mal so was wie „Die Echse“ im klassischen MESSER-Sound. Die Sachen, mit denen wir so einen Prozess beginnen, müssen für uns schon eine konkrete Veränderung markieren. Dass Palle die neuen Stücke zu soft waren, glaube ich nicht.

Neuerfindung oder Veränderung?

Pogo: Veränderung ja, aber Neuerfindung eigentlich nicht!

Philipp: Es ist ja kein Bruch mit dem Bisherigen, sondern hängt zusammen, mit dem was bisher passiert ist.

Pogo: Für MESSER wesentlich war schon immer der Gedanke, dass alles möglich ist. Natürlich hat jeder von uns da seinen eigenen Geschmack.

Manuels Percussions sind seitdem viel dominanter im Gesamtsound. Wie gehst du an die Songentwicklung ran?

Manuel: Ich bin ja während der Aufnahmephase zu „Die Unsichtbaren“ eingestiegen. Damals waren die Percussions eine Art Produktionstool, um gewisse Sounds fetter zu machen. Jetzt war die Herangehensweise tragender, komplementär zu Philipps Schlagzeugspiel, ohne klare Hierarchien, wer wofür zuständig ist. Das wurde dann von Song zu Song anders umgesetzt. Das Set-Up entstand sehr intuitiv, nach und nach: die Bongos habe ich in einem Musikladen in der Schnäppchenecke entdeckt. Die klingen ganz gut, fast schon sequenzermäßig, ohne den Drums im Weg zu stehen. Das ist glaube ich das, was „Detektive“ dann auch ausmacht. Da gab es keinen Masterplan, sondern das hat sich ganz organisch entwickelt. Über diese Entwicklung bin ich sehr glücklich. Diese Verzahnung mit Philipps Schlagzeugspiel sagt mir total zu, auch dass es sich gegenseitig so ergänzt und man gar nicht genau sagen kann, wer oder was hier jetzt rhythmisch den Ton angibt.

Übrigens ein super schönes Artwork mit diesem Textbuch!

Hendrik: Das freut mich. Da hat bisher kaum jemand nach gefragt! Es gibt dieses in der Leipziger Galerie ausgestellte und fotografierte Original-Textbuch, von dem ich für jedes Bandmitglied in Fanzine-Manier Kopien gemacht habe. Aber ich wollte noch zu Manuels Entwicklung was anmerken: Bei „Die Unsichtbaren“ waren die Percussions eher so eine Art Zugabe, inzwischen ist das schon eine Symbiose.

Schön gesagt! Mann, wieso ist mir das nicht eingefallen?

Hendrik: Na, wir haben es ja schon zehn Mal erzählt. (alle lachen)